Interview mit Jessica Hugues
1 – Frage: Jessica, du warst bis 2015 aktiv im Karatesport tätig. Du warst 21 Jahre alt, als du bei einem Wettkampf einen Unfall hattest wobei du dir den Halswirbel gebrochen hast, wodurch du 4 Wochen lang bewegungsunfähig warst. Woher hast du die Kraft aufgebracht, nach diesem Ereignis, welches deine Profi-Sportkarriere unterbrochen hat, nicht aufzugeben und weiterzumachen?
Ich hatte keine andere Wahl, als zu kämpfen! Die Ärzte sagten mir, sie wüssten nicht, ob ich jemals wieder laufen könnte … also hatte ich 2 Optionen, der Rollstuhl oder ich kämpfe, um wieder auf die Beine zu kommen! Aufgeben war einfach keine Option für mich. In meinem Kopf war nur, dass ich so schnell wie möglich gesund werde, um wieder zu den Tatami-Matten zurückzukehren zu können. Obwohl mein Chirurg mir gesagt hat, dass es mit Karate vorbei sei.
2 – Frage: Eine Rehabilitation erfordert sicher viel Geduld. Wie verlief die Reha-Phase? Wie hast du deine Bewegungskoordination und deine Mobilität zurückgewonnen?
Es war eine sehr lange und anstrengende Zeit. Ich habe mehrere Phasen durchlaufen… die erste war die Ankündigung der OP. Mein Halswirbel hätte mit Platten und Stiften stabilisiert werden müssen, was zu einem enormen Verlust an Beweglichkeit im Nacken geführt hätte! Wir waren mit dieser Option nicht einverstanden und fragten nach einer anderen Lösung.
Die Ärzte entschieden sich daher für die Option Wirbelsäulenstabilisation, mit einem Ring aus Metall, der in meinen Schädel geschraubt wurde und mit einem Korsett verbunden war. Dieses spezielle Korsett hat meinen Oberkörper gestreckten und die gebrochenen Teile meines Halswirbels festgezogen, um eine natürliche Stabilisation zu erreichen. Ich war 1 Monat ans Bett gefesselt und musste das Korsett 4 Monate lang tragen. Es war unmöglich alleine zu duschen, im Liegen zu schlafen, mich frei zu bewegen; ganz zu schweigen von den Blicken der Menschen, das alles ist nicht leicht zu ertragen.
Nachdem mein Nackenwirbel stabilisiert war, habe ich viel Muskelmasse verloren … mein Körper war total schwach! Da habe ich mich entschlossen an Fitnesswettbewerben teilzunehmen, um wieder Muskeln aufzubauen und schnell wieder in Form zu kommen!
3 – Frage: Reden wir ein bisschen über deine Ernährung. Es ist nicht einfach die Ernährung plötzlich umzustellen. Hattest du einen speziellen Diätplan?
Nein, ich habe in dieser Zeit überhaupt keine Diät befolgt … um ehrlich zu sein, während der Zeit im Krankenhaus wurde ich hauptsächlich mit einem Strohhalm und Püree gefüttert … schon das Öffnen meines Mundes hat mir unerträgliche Schmerzen bereitet. Ich habe viel Gewicht durch schlechtes Essen verloren, aber sobald die Rückkehr zum Sport wieder möglich war, habe ich wieder eine kontrollierte Diät befolgt.
4 –Frage: Man sagt ja, “alles Kopfsache”. Woher hattest du den Willen und die Kraft diese schwierigen Zeiten zu meistern?
Dank meiner Lieben, meiner Familie und meines Partners konnte ich die dunkelsten Zeiten überstehen. Wenn sie nicht da gewesen wären, hätte ich das alles wohl nicht durchstehen können! Sie waren eine alltägliche Unterstützung und ich kann ihnen nie genug dafür danken! Ich habe auch viele Nachrichten in meinen sozialen Netzwerken erhalten… viele Leute haben meine Geschichte verfolgt und schickten mir viele ermutigende Nachrichten, die mich sehr motivierten!
5 – Frage: Nach deinem Unfall bist du mit Fitness zum Sport zurückgekehrt. Warum Fitness? Was hat es dir gegeben? Wie war es von Karate auf Fitness umzusteigen? Ist Fitness dein Sport Nr. 1?
Mein Partner war wie ich im französischen Karate-Team… als seine Karriere endete, hat er mit Bodybuilding angefangen und mir hat dieser Sport auch gefallen. Nachdem meine Wirbelsäulenstabilisation entfernt worden war, durfte ich kein Karate mehr machen und musste mir eine andere Sportart suchen, die weniger riskant war … Fitness bot sich mir als beste Option an! Es gab mir kurzfristige Ziele und motivierte mich auch, wieder in eine gute körperliche Verfassung zu kommen.
Es gibt keine großen Unterschiede zwischen Karate und Fitness. In der Fitnesswelt gibt es viel aus der Welt der Kampfkünste. Man muss alleine arbeiten und immer wieder Übungen wiederholen, um die perfekte Form zu erreichen. Ich habe mich ein bisschen wieder wie auf meiner Tatami-Matte gefühlt, nur dass ich mit meinen Hanteln im Gym war!
6 – Frage: Du hast mit einer genetisch bedingten Krankheit zu kämpfen, die dein Sehvermögen beeinträchtigt. Du bist ein Vorbild für Viele, wenn es um Ausdauer und Belastbarkeit geht. Wie motivierst du dich zum Sport und hältst diese Motivation aufrecht?
Im Alter von 8 Jahren wurde bei mir meine Krankheit diagnostiziert. Man sagte mir, dass ich mein Sehvermögen in ein paar Jahren verlieren würde … wann? Da weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass es eines Tages passieren wird, es sei denn man findet bis dahin eine Behandlung. Ich kann nicht arbeiten, weil mein Sehvermögen sehr schwach ist und ich schnell müde werde und Migräne bekomme. Sport ist für also wie die Luft zum Atmen! Wenn ich keinen Sport treibe, fühle ich mich unwohl! So wurde Sport von klein auf zu meiner Berufung und meiner Leidenschaft. Und da ich eine Kämpferin bin, möchte ich immer die Beste sein! Egal ob im Karate oder Fitness, ich muss die Erste sein! Auch wenn ich nicht die gleichen Chancen habe wie die Anderen.
7 – Frage: Kannst du nach 5 Jahre sagen, dass du dich vollständig von diesem Unfall erholt hast?
Was hast du aus dieser Erfahrung gelernt? Was sind deine aktuellen Sportziele?
So unglaublich es auch scheinen mag, ich habe mich tatsächlich vollständig von meinem Unfall erholt. Sogar die Ärzte sind beeindruckt! Ich habe absolut keine Beschwerden. Von Zeit zu Zeit ist der Hals etwas steif, aber das passiert sehr selten! Ich kann meinen Kopf wie davor bewegen und drehen und habe sogar Karate für die Olympischen Spiele in Tokio mir als Ziel gesetzt! Aber dieses Abenteuer endete für mich vor ein paar Monaten, weil ich schwanger wurde und mein Baby vor 4 Monaten zur Welt gebracht habe.
Mein Ziel ist es, auf mein kleines Mädchen und meine Familie aufzupassen! Wenn es um Sport geht, plane ich, mich auf Fitnesswettkämpfe für 2021 in der Kategorie Wellness vorzubereiten. Nach der Schwangerschaft gebe ich mir genug Zeit, um wieder Muskelmasse aufzubauen, in meinem neuen Zeitplan!